Karl Hein Gruber (1942-2025)
Am 27. März 2025 verstarb Karl Heinz Gruber, der als ordentlicher Universitätsprofessor von 1986 bis 2003 am Institut für Bildungswissenschaft(1) der Universität Wien die Professur für Vergleichende Erziehungswissenschaft innehatte.
Karl Heinz Gruber war bereits in den 1960er Jahren daran interessiert, pädagogische Entwicklungen im internationalen Kontext zu untersuchen. In einer Zeit, in der sich nahezu alle seine Institutskolleg:innen auf Diskussionen und Entwicklungen innerhalb des deutschsprachigen Raumes konzentrierten, verfolgte er einen breiteren Fokus und befasste sich mit den Bildungssystemen unterschiedlicher Länder, wobei er sich besonders intensiv mit schulischen und vorschulischen Einrichtungen in Schweden, Norwegen, Großbritannien, Frankreich, Japan und in den USA befasste. Er legte großen Wert darauf, Einrichtungen - einem ethnographischen Selbstverständnis folgend - vor Ort zu besuchen sowie in internationalen Gremien wie der OED oder der UNESCO mitzuwirken. So sehr es ihm ein Anliegen war, für eine wohldurchdacht konzipierte Gesamtschule für Kinder und Jugendliche bis zum 14. Lebensjahr einzutreten, so wichtig war es ihm, als Gastwissenschaftler oder Gastprofessor an mehreren Universitäten des In- und Auslandes zu lehren. Besonders enge Arbeitsbeziehungen baute er zum Department of Education der Universität Oxford auf, wo er als Gastprofessor (2000 und 2005/06), Research Fellow (2011/12) und Honorary Research Fellow (2013/15) wirkte.
Für die Wahrnehmung all dieser Aufgaben war der Umstand hilfreich, dass Karl Heinz Gruber in vielfacher Hinsicht gebildet war. Er war in der englischen Sprache, die er öfter als seine zweite Muttersprache bezeichnete, bestens bewandert, konnte sich aber auch in anderen Sprachen elegant bewegen. Darüber hinaus verfügte er über ein breites Wissen auf den Gebieten der Musik, Literatur, Kunst und Kultur.
Seine Kenntnisse, Einblicke und Einschätzungen verbreitete er allerdings nicht mit lauter Vehemenz. Er trat vielmehr leise auf. Dennoch war es ihm wichtig, gelesen und gehört zu werden. Dass ihm dies gelang, hing mit seiner Art des Schreibens und Sprechens zusammen, die auf Grund einer besonderen Ästhetik geeignet war, Aufmerksamkeit zu wecken und zu halten. Wenn er im Gespräch die Augenlider senkte, die Augenbrauen ein klein wenig hochzog und den Mund leise bewegte, wussten alle, die ihn kannten, dass sich soeben interessante oder auch amüsante Gedanken formierten, die Karl Heinz Gruber im nächsten Moment äußern und mit anderen teilen würde. Ähnlich erging es seinen Leserinnen und Lesern, wenn sie die ersten Sätze seiner Veröffentlichungen lasen, die er am liebsten als wissenschaftlich fundierte Kolumnen verfasste. Etwa 170 dieser Texte erschienen in Qualitätsmedien wie dem Standard, der Zeit oder der Presse und zeichneten sich durch ein ausgeklügeltes Geflecht an sachlichen Informationen, Anekdoten, humorigen Einstreuungen, Literaturverweisen und überraschenden Pointen aus. Es war ihm ein Anliegen, dass das Lesen diese Art von wissenschaftlicher Literatur intellektuelles Vergnügen bereiten sollte. Dieser Auffassung folgte er auch in der Gestaltung seiner Vorlesungen, die von Studierenden sehr geschätzt wurden und die er bis 2020 hielt. Er war wohl jener Kollege am Institut, der über die Jahre hinweg die meisten Leser:innen und Hörer:innen erreichte.
Seiner Art zu schreiben und vorzutragen korrespondierte mit dem Umstand, dass er sich nicht als "empire builder" begriff, wie er sich selbst einmal beschrieb. Er meinte damit, dass er sich nicht als Professor verstand, der sich mit einer Schar von Assistent:innen umgab, die seine Lehrmeinung vertreten und in die Welt hinaustragen sollte. Er verstand sich auch nicht als Verfasser von umfangreichen oder gar Schule bildenden Lehrbüchern. Und er strebte auch nicht die Übernahme von institutionell einflussreichen Positionen an, zu denen insbesondere diePositionen des Studienprogrammleiters, des Institutsvorstandes oder des Dekans zählen. Mit Ausnahme eines kurzen Zwischenspiels als Institutsvorstand gelang ihm, die Übernahme solcher Funktionen zu vermeiden, ein Umstand, der es ihm erlaubte, sich mit großer Kontinuität seinen wissenschaftlichen Interessen und internationalen Kontakten zu widmen.
In seinem Buch "Vergnügte Wissenschaft", das 2022 erschien(2), beschrieb Karl Heinz Gruber wesentliche Stationen seines Werdegangs. Er betonte, dass die glückliche Fügung vieler Zufälle ausschlaggebend dafür war, dass es ihm, dem 1942 in Oberösterreich geborenes Arbeiterkind, gelang, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen, die nach dem Abschluss der Ausbildung zum Pflichtschullehrer 1970 zur Promotion, 1979 zur Habilitation und 1986 zur ordentlichen Universitätsprofessur führte. Das Buch vermittelt ein lebendiges Bild seiner Person, wozu auch ein gelungenes Foto beiträgt, das von seinem Sohn Florian stammt und am Cover zu finden ist: Es zeigt Karl Heinz Gruber im dem von ihm überaus geschätzten Hörsaal D, dem ehemaligen Hörsaal des Pathologischen Instituts, im vertraut dunkelblauen Pullover. Seine Körperhaltung und seine Mimik strahlen Ruhe, Würde und Ernsthaftigkeit aus, gebrochen durch ein feines Lächeln, das in den Mundwinkeln und Augen jene Prise Heiterkeit, Lebensfreude und Selbstironie zum Ausdruck bringt, die untrennbar mit seinem Selbstverständnis als Wissenschaftler verbunden war(3).
Wilfried Datler
1 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien in
der Zeit, in der Karl Heinz Gruber seine akademische Laufbahn begann, die Bezeichnung Institut für
Pädagogik trug. Zwischendurch hieß es auch Institut für Erziehungswissenschaft.
2 Gruber, Karl Heinz (2022): Vergnügte Wissenschaft. Ein pädagogischer Selbstversuch. Fragmente einer
akademischen Karriere. Verlag Bibliothek der Provinz: Weitra.
3 Weitere Nachrufe auf Karl Heinz Gruber, die elektronisch verfügbar sind, verfassten Katharina Soukup-
Altrichter (https://oefeb.at/news/nachruf/) und Bernd Hackl (https://schulheft.at/wp-
content/uploads/2025/04/Karl-Heinz-Gruber_Nachruf.pdf).